Von hohen Mieten lässt sich der Berliner nicht unterkriegen. Für einen echten Münchner spielen Preise erst recht keine Rolle, wenn die Qualität stimmt.Von der Lebensqualität in München und Berlin sind deren Bewohner offensichtlich angetan. Laut einer Interhyp-Studie zum „Wohnglück“ in deutschen Metropolen sind 82 Prozent der Berliner und 81 Prozent der Münchner mit ihrer aktuellen Wohnsituation zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Trotz steigender Kaltmieten und gefühlt astronomischer Kaufpreise auf dem Immobilienmarkt behaupten sich beide Großstädte im Beliebtheits-Vergleich. Auf den letzten Plätzen landen Köln und Stuttgart. Nur 68 Prozent der Kölner stehen der Wohnsituation in ihrer Heimatstadt ausschließlich positiv gegenüber.
Wohnglück: Eine Frage des Images?
Ein schönes Zuhause zählt für 98 Prozent der Deutschen zu den „wichtigsten Dingen im Leben“. Nur Gesundheit stand in der Wohntraumstudie noch höher im Kurs. Verglichen mit allen deutschen Großstädten gefällt Münchnern und Berlinern ihr Zuhause aber besonders gut. Die größere Beliebtheit der Städte könnte das Resultat erfolgreicher Markenbildung sein. Das Image beider Metropolen ist besonders trennscharf, sie liefern plastische Beispiele für geglückte (Marken-) Differenzierung. Damit vermitteln die Städte ihren Einwohnern das Gefühl, dort besonders hohe Lebensqualität zu erfahren.
Erfolgreiche Markenbildung am Beispiel München
Die „Marke“ München steht für den Inbegriff des modern-urbanen Lifestyles: Groß, edel, kultiviert kommt die Metropole an der Isar daher; und vor allem teuer. Dieses Image zieht Yuppies, Snobs, Neureiche, B bis Z-Stars und Partypeople wie ein Magnet aus ganz Deutschland, wenn nicht aus ganz Europa an. Sie alle wollen am „Munich Lifestyle“ teilhaben.

Der individuelle Blickwinkel eines Einwohners auf die jeweilige Metropole definiert dessen gefühlte Lebensqualität. Meinungen sind bekanntlich, von Mensch zu Mensch, verschieden. Ein Redakteur der Huffington Post schildert sein persönliches München-Gefühl in diesem Artikel wenig euphorisch. Er sieht unsere schöne Stadt als „Deutschlands hässliche Betonhauptstadt“, die aus Vorortghettos und einer überalterten Bevölkerung bestehe. Am besten betrachte man München aus der Ferne, sitzend auf einem Berg in den nahen Alpen. Der Beitrag trieb mir beim Lesen die Tränen in die Augen, und doch ist seine Meinung nachvollziehbar – wenn auch derzeit nicht weit verbreitet. Der Run auf Immobilien in der bayrischen Landeshauptstadt spricht eine andere Sprache: Kaufinteressenten werfen den wenigen verkaufswilligen Eigentümern in München das Geld hinterher und streiten sich untereinander, gipfelnd in Handgreiflichkeiten, um den Zuschlag fürs adrette Häusschen. Immobilienbesitzer in München sind so zufrieden mit ihrem Eigentum, wie in keiner anderen deutschen Großstadt. 86 Prozent der Münchner Eigentümer erwarten sogar an weitere Wertsteigerungen.
Die Marke Berlin: alternativ und individuell – ein Image, das sich leicht verbreitet
Ein Image verbreitet sich am besten, wenn es kommuniziert und vielfach weitergegeben (neudeutsch „geshared“) wird. Dabei entwickelt die Mund-zu-Mund-Reputation eine erstaunliche Eigendynamik, insbesondere im Zeitalter sozialer Medien aka Instagram oder (weniger hipp, aber mit besserer Durchdringung) Facebook. Der Prozentsatz der aktiven Accounts auf Instagram in Berlin (gemessen an der Gesamtbevölkerung) ist mutmaßlich höher, als der in Bottrop. Ist dies nun ein Resultat oder eine Ursache, warum Berlin als „alternativ und individuell“ wahrgenommen wird.

„Hipp und alternativ“ ist ein Image, das sich im lockeren Rahmen des Bildmediums Instagram toll kommunizieren lässt. Auch im persönlichen Gespräch stimmt das Bild: Auf einer Silvesterparty unterhielt ich mich mit einer Studentin aus Berlin. Sie schwärmte von Berlin, den vielen Partyspots, der individuellen Identität jedes einzelnen Stadtteils und den zahlreichen (kulturell-)bunten Events, bspw. vom jährlichen „Karneval der Kulturen“. Niemals würde sie aus Berlin wegziehen, bekräftigte sie.
Ich kann mich nicht erinnern, dass in meiner Gegenwart jemals ein Frankfurter mit solcher Bewunderung von seiner Heimatstadt gesprochen hätte. Laut der Interhyp-Studie mögen dennoch 73 Prozent der Frankfurter ihr Zuhause. Aber Bankentürme, der Frankfurter Flughafen oder die Finanzwirtschaft sind, außer unter Architekten, Investmentbankern und Fluglärmgegnern, weniger geeignet für Tischgespräche im Smalltaljformat. Die Werbebotschaft von Metropolen mit großem Freizeit-und Kulturangebot verbreitet sich besser, als das Image wirtschaftsstarker Standorte.

Wenn die Realität grüßt…
Miet- und Kaufinteressenten rate ich stets, vor dem Beginn der Immobiliensuche eine Liste mit sehr wichtigen, wichtigen und weniger wichtigen Punkten anzufertigen, die ihre neue Immobilie erfüllen soll. So gelingt es, sich schon vor dem Umzug in die neue Immobilie, bzw. auch bei der Auswahl der neuen Heimatstadt, der rosaroten Brille zu entledigen. Denn mit neu erworbenen oder gemieteten Immobilien verhält es sich wie mit frischen Beziehungen. Nach anfänglich optimistischer Verklärung stellt sich das böse Erwachen ein, wenn dir die ungeschminkte Realität entgegen grinst.
Im Regelfall erwachen Mieter aus ihrem Wohntraum, wenn die Miete für die neue, schicke Wohnung in Bogenhausen das Urlaubsbudget aufzehrt und der Mieter gezwungen ist, das teure Traumobjekt ganzjährig zu „ertragen“. Der wichtigste Grund für einen Umzug ist laut Interhyp die „hohe Miete“. 36 Prozent der Mieter suchen nach günstigerem Wohnraum. Ist der Mietpreis der Immobilie denn nicht vor Einzug schon bekannt? (Ich vernachlässige hier Mietpreissteigerungen während des Mietverhältnisses. Diese stellen sich ohnehin seltener ein, als Mieter landläufig befürchten und sind selbst dann oftmals moderat.)
Meine Erfahrungen in der Praxis stimmen mit dem Ergebnis der Interhyp-Studie überein. Regelmäßig treffe ich Mieter in Besichtigungen, die weniger Miete bezahlen möchten. In der Folge wundern sie sich, wenn sie morgens im Plattenbauviertel aufwachen und eine Stunde zur Arbeit fahren müssen. Statt sich später über teure Mietpreise in München zu beschweren, hätte man fürs gleiche Geld auch direkt eine Immobilie in der Top-Lage von Bottrop mieten können.
Die Balance finden
Wohnen bleibt individuell. „Behaglichkeit“, das fand die Studie heraus, ist das wichtigste Kriterium, das die Deutschen an ihre Immobilie anlegen. Damit der Wohntraum langfristig behaglich bleibt, muss das Gesamtpaket stimmen. Für manche sind Einbauküche und Balkon unverzichtbar, andere benötigen einen Whirlpool zum glücklich sein. Für die Meisten ist es aber weniger die Immobilie, die sie glücklich macht, als die Geschichten, die in dem Objekt geschrieben werden. Ist der „Wohnraum“ nicht nur die Kulisse für die Story des Lebens? „Home is where your heart is“, sagt ein englisches Sprichwort. Begleitet von der richtigen Gesellschaft kann sich das Mietverhältnis in der Souterrain-Wohnung nämlich besser anfühlen, als das Luxusleben im Eigentums-Penthouse mit Skylineblick. WohnTRÄUME werden auch, vielleicht sogar häufiger als anderswo, in Bottrop wahr.
Die vollständige Interhyp-Wohntraumstudie 2016 finden Sie hier.
Zum Autor:
Richard Nitzsche ist Immobilienmakler in Frankfurt und München und Autor des Ratgebers für Mieter: Der Mietercoach: Ihre neue Wohnung SUCHEN – FINDEN – BEKOMMEN (Immobilienbuch Verlag).
Richard Nitzsche tritt regelmäßig als Experte für den Wohnungsmarkt in Ballungszentren auf, schreibt für die Wochenzeitung Frankfurter Stadtkurier eine Marktkolumne und publiziert auf dem Blog mietercoach.de seit 2014 Tipps, Infos und Wissenswertes zum Thema Mieten, Immobilien und Wohnungssuche.