Steht der Immobiliencrash kurz bevor oder werden die Immobilienpreise (doch) weiter steigen? Immobilienmarkt-Experten und Marktbeobachter finden aktuell keine gemeinsame Linie. Im folgenden Beitrag führe ich diverse Treiber auf, die aus meiner Sicht für die künftige Entwicklung der Immobilienpreise besonders relevant sein können:
- Zinsentwicklung
- Inflation
- Fallender Euro / Importierte Inflation
- Steigende Energiekosten (Öl/ Gas / Strom)
- Liefer- und Materialengpässe, unterbrochene Lieferketten
- Steigende Nachfrage im Mietmarkt
- Unsicherheit
- Inflationserwartungen
- Staatshilfen
- Neubewertung von Kreditsicherheiten / pot. Nachbesicherung von Immobilienkrediten
Die wachsende Unsicherheit in der Volkswirtschaft, hohe Inflation und explodierende Zinsen produzieren Negativschlagzeilen im Immobilienmarkt. Immobilienscout24 berichtet von mehr Verkaufsanzeigen auf dem Portal und sinkende Preise – die Süddeutsche Zeitung bewertet die Zahlen für den Markt München auf und spricht von einer deutlichen Preiskorrektur. Die Wirtschaftswoche prognostiziert sogar einen Immobiliencrash: „Das Ende des Immobilienbooms ist da: Preise brechen um bis zu 30 Prozent ein.“
Expertenmeinungen driften jedoch stark auseinander: Der Handeslblatt- Podcast 1a Lage titelt „Die Preise steigen weiter“
Prof. Michael Voigtländer vom IW Deutschland, der zu den bekanntesten Experten im Markt für Wohnimmobilien zählt, bezieht sich auf eine neue Publikation; er gibt zu, dass die Vielzahl der ökonomischen Ereignisse aktuell kaum valide Prognosen zulässt und somit auch kein Ende des Booms vorhergesagt werden könne.
Auch die Experten im Podcast Lagebericht melden in ihrem Kommentar Zweifel an der Nachhaltigkeit der Immobilienscout-Zahlen an. Eine Entspannung im Markt für Wohnimmobilien sei aus ihrer Sicht nicht zu spüren.
Aus eigener Recherche am Markt kann ich berichten, dass meine Bestandshalter (noch) optimistisch bleiben. So meint ein privater Investor, der über mehrere hundert Wohnungen besitzt: „Die Preise knicken kurz ein, langfristig gehen sie nach oben!“ Aktuell ergeben sich aus seiner Sicht durch die Verunsicherung diverser Marktteilnehmer so viele Chancen, dass er die Marktphase zum Zukauf von Immobilien und zur Erweiterung seines Bestandsportfolios nutze.
Bauträger und Projektentwickler, die auf eine kürzere Haltedauer angewiesen sind, beobachten den Markt und die Zinsentwicklung jedoch durchaus kritisch, haben Projekte im Frühstadium gestoppt und auch den Ankauf neuer Flächen vorläufig eingestellt.
Welche Faktoren wirken direkt oder perspektivisch auf den Preis von Wohnimmobilien?
Der Immobilienmarkt ist so schwer einschätzbar, weil eine Vielzahl von Marktmechanismen auf die Preisentwicklung einwirken, die sich unter Umständen gegenseitig aufheben oder auch potenzieren. Für Ökonomen spannend, für Marktteilnehmer nervenaufreibend. Folgend zeige ich einige Parameter und Wechselwirkungen, auf die Marktteilnehmer im Immobilienmarkt aus meiner Sicht derzeit ein besonderes Augenmerk legen sollten:
- Zinsentwicklung
Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöht die Zinsen im Rekordtempo, um die Inflation zu bekämpfen. Dadurch verteuern sich die Bauzinsen. Der Immobilienkauf wird für weniger Käufer erschwinglich. Weniger Käufer bedeuten weniger Nachfrage nach Wohnimmobilien. Gleichzeitig verteuern sich die Kredite für produzierende Unternehmen. Bei bereits bestehenden Produktionsengpässen wird in der Folge noch weniger produziert. - Inflation
Bei anhaltend hoher Inflation retten sich die Marktteilnehmer, verkaufen die Währung und kaufen dafür andere Assets, die höhere Wertstabilität versprechen. Ein gängiger Tausch ist der Verkauf von Euro gegen Immobilien, also der Immobilienkauf. Je schneller die Inflation steigt, umso dringender suchen Marktteilnehmer alternative Anlagen, beispielsweise Wohnimmobilien, um sich vor der Geldentwertung zu schützen. Dies kann die Immobilienpreise weiter antreiben. - Fallender Euro / Importierte Inflation
Der fallende Euro verstärkt die Inflation, weil Importpreise für Euro-Marktteilnehmer steigen, die ihre Rohstoffe im Ausland einkaufen. Steigende Rohstoffkosten werden auf die Preise umgelegt, schließlich verteuert sich für den Kunden das Endprodukt. - Steigende Energiekosten (Öl / Gas / Strom)
Wegen der durchaus politisch nachvollziehbaren Lieferbeschränkungen von Öl und Gas verteuern sich die Einkaufspreise für die Energie. Die Verteuerung legt der Marktteilnehmer auf das Produkt oder die Dienstleistung um. Hier verteuern sich nicht nur Produkte, denn auch Dienstleister (bspw. ein Reisebüro, ein Architekt, ein Rechtsanwalt) ist durch höhere Kosten belastet, die er vom Kunden einspielen muss, um den Fortbestand seines Unternehmens zu sichern. Auch können steigende Kosten den Versuch einer Umschichtung bspw. im Bereich Wohnen zur Folge haben. Mieter verkleinern sich oder wechseln in energieeffizientere Immobilien. - Liefer- und Materialengpässe / unterbrochene Lieferketten
Unterbrochene Lieferketten, bspw. durch die Corona-Pandemie oder durch politische Manöver führen zu Produktionsengpässen. Das Fehlen des Produkts verstärkt die Nachfrage nach Substitutionsprodukten und treibt den Preis des übrigen Bestands.
Ein Beispiel: Seit 2021 leidet die Bauwirtschaft unter Lieferengpässen für Rohstoffe. Es können weniger Neubauten fertig gestellt werden, deshalb steigt die Nachfrage nach Bestandsimmobilien, also nach gebrauchten Immobilien. Die gebrauchte Immobilie ist hier das Substitutionsprodukt der Neubauimmobilie zum Kauf. Die Wohnung oder das Haus zur Miete das Substitutionsgut zum Kauf eines Eigenheims. - Steigende Nachfrage im Mietmarkt durch zögernde Käufer
Käufer hadern mit ihrer Kaufentscheidung. Sie mieten lieber eine neue Wohnung. Dies führt zu höherer Nachfrage und steigenden Mieten. Gleichzeitig steigt die Attraktivität des Erwerbs einer vermieteten Kapitalanlage bzw. des Erwerbs von Immobilien als Kapitalanlage mit dem Bestreben, diese mittel- oder langfristig zu vermieten. - Unsicherheit
Die durch den Mix der oben beschriebenen Faktoren (Zinsentwicklung, Inflation, steigende Energiekosten, Lieferengpässe) verursachte Unsicherheit hemmt die Nachfrage im Konsum. Der Verbraucher schiebt nicht unbedingt notwendige Anschaffungen auf – beispielsweise auch den Kauf des Eigenheims – obwohl er sich dessen Erwerb grundsätzlich leisten könnte. - Inflationserwartungen
Die Erwartungen von Marktteilnehmern zu weiter steigender Inflation führen dazu, dass verdientes Einkommen schneller „umgeschlagen“, also in ein anderes Gut getauscht wird. Eine Inflationsspirale entsteht, weil die höhere Umschlagsgeschwindigkeit ihrerseits wieder die Inflation antreibt. - Staatshilfen
Fiskalpolitische Interventionen sollen die Wucht von Inflations- und Energiepreisanstiegen abfangen und Haushalte entlasten. Bei einer Mittelverwendung für die angestrebten Ziele wirken Hilfen neutral unter der Bedingung, dass dem Haushalt tatsächlich eine Finanzierungslücke entsteht. Werden Hilfen ausgezahlt, vor der tatsächliche Bedarf entsteht, oder erfolgt die Auszahlung an Haushalte, die durch den steigenden Energiepreis bzw. die Inflation nicht ans Limit getrieben werden, wirken fiskalpolitische Interventionen nachfragetreibend. Bei ohnehin knappem Güterangebot durch die oben beschriebene Angebotsverknappung begünstigt die Staatshilfe in diesem Fall Inflationstendenzen. Eine inflationsneutrale Dosierung ist enorm schwierig. Aus Sicht des Autors dürften die Hilfspakete die Inflation deshalb weiter befeuern. - Neu(Bewertung) von Kreditrisiken – Nachbesicherung von Immobilienkrediten
Steigende Zinsen, potenziell fallende Preise und fortschreitende Kreditausfälle (bspw. Durch steigende Arbeitslosigkeit) könnten bei immobilienfinanzierenden Kreditinstituten eine Neubewertung der Kreditrisiken mit sich bringen. Dies betrifft Eigentümer, die Immobiliendarlehen (nun zum höheren Zins) refinanzieren müssen. Schlimmstenfalls muss Eigenkapital nachgeschossen oder zusätzliche Sicherheiten eingebracht werden.
Der Autor:
Richard Nitzsche hat Finance & Economics an der Frankfurt School of Finance and Management und in den USA studiert. Er ist seit 2012 Immobilienmakler in Frankfurt am Main, Autor des Immobilienblogs „Der Mietercoach“, sowie des gleichnamigen Ratgebers für Mieter auf Wohnungssuche. Besuchen Sie Richard Nitzsche auch auf YouTube!