Der Immobilienmarkt ändert gerade seinen Kurs. Nach einer Dekade Boom scheint der Zenit überschritten. Die Immobilienpreise könnten bald signifikant korrigieren. Schon sprechen Marktinsider gar von einer Krise, mindestens jedoch von fallenden Preisen. Vier dieser Insider aus dem Immobilienmarkt haben sich am vergangenen Donnerstag in der Expertenrunde „REAL TALK“ von Immowelt zusammengesetzt und über die Auswirkungen der derzeitigen Negativfaktoren im Immobilienmarkt diskutiert: Steigende Zinsen, kletternde Inflation, hohe Energiepreise, Probleme in den Lieferketten und steigende Baukosten, Unsicherheiten wie der Ukraine-Krieg. Die Liste ist lang. Sie führt zu einer „Kaufzurückhaltung“ auf Interessentenseite, weiß Prof. Dr. Harald Simons von der empirica AG. Die ersten Unternehmen haben bereits auf das veränderte Marktumfeld reagiert. Die sogenannten hybriden Maklerunternehmen stellen sich wohl auf eine längere Phase des Abschwungs ein. Obwohl die Kommentatoren bereits von einem Abwärtstrend der Preise berichten, spiegeln sich in den aktuellen Studien noch keine fallenden Preise.
Immobilienpreise: Daten zeigen noch keine signifikante Preiskorrektur
Auf breiter Front lasse sich noch kein signifikanter Preisverfall der Immobilienpreise betrachten, sagt Simons. Die Preiskorrekturen, die er gerade messe, lägen im Augenblick eher noch im Bereich der zufälligen Schwankung. Jedoch hatte man zum jetzigen Zeitpunkt auch noch keine aussagekräftigen Daten erwartet. Bis ein Zinsanstieg seine Korrekturwirkung auf die Preise entfalte, vergehen im Regelfall 12-18 Monate, so Simons. Dennoch beobachte er Indikatoren, dass der prognostizierte Abschwung dieses Mal wirklich eintrete. Es herrsche derzeit eine Kaufzurückhaltung. „Es wird weniger gekauft und mehr nachverhandelt“, sagt der Experte. Bis diese Schwäche im Markt auf die notariell beurkundeten Kaufpreise durchschlage, werden Verkäufer zuerst sämtliche Möglichkeiten ausschöpfen. Beispielsweise wird auf den ausgeschriebenen Preis noch „eine Einbauküche draufgelegt“. Es „dauert“, bis ein Preisrutsch im Immobilienmarkt tatsächlich sichtbar werde.
Nach dem ersten Corona-Schock sind die Priese weiter gestiegen
In jüngster Vergangenheit hatten Experten schon einmal eine Korrektur der Immobilienpreise vorhergesagt. Als 2020 die Coronapandemie über den deutschen Immobilienmarkt hereinbrach, hatten namenhafte Experten eine Korrektur von bis zu 20 Prozent prognostiziert. Doch nach einem Einbruch der Nachfrage und einem Knick im Chart, kletterten die Immobilienpreise weiter.
Wie sich der Immobilienmarkt heute vom Corona-Krisenmarkt unterscheidet
Dennoch sei die Entwicklung dieses Mal anders, glauben Experten. Während bei der Coronapandemie nur einzelne Teile der Volkswirtschaft von Umsatzeinbußen und Problemen betroffen waren, manifestieren sich die derzeitigen Probleme für alle Wirtschaftssubjekte. Makler Jürgen Michael Schick, der als Experte und Vorsitzender des IVD Immobilienverband Deutschland im Immowelt REAL TALK mitdiskutiert, sieht in seinem Tagesgeschäft schon real Auswirkungen. Im Bereich vermietete Wohnungen, also Kapitalanlagen, sehe er derzeit Abschläge auf die Vorkrisenpreise von 10-15 Prozent. Aber auch bei Wohnimmobilien beginne gerade die Preiskorrektur. Die Maklertätigkeit habe sich, verglichen mit dem Marktumfeld vor einem Jahr, grundlegend geändert. Zu dieser Zeit war der Marktengpass das Finden von Objekten, heute heisst es: „Ich habe so wenige Käufer.“ Für Schick kommt es jetzt besonders darauf an, „marktrealistische“ Immobilien in den Bestand zu nehmen.
Chancen für Käufer: Preisverfall variiert in unterschiedlichen Marktsegmenten
Allerdings werde sich der Downturn in den Marktsegmenten verschieden auswirken. Beispielsweise werde Bestand gegenüber Neubau gewinnen, sagt Schick, weil Projektentwickler die Neubauaktivität aktuell drastisch zurückfahren und Käufer deshalb auf Bestandsimmobilien ausweichen müssen. Trotzdem muss Schick zugeben, dass sich der Verkäufermarkt in windeseile in einen Käufermarkt gedreht habe. Er beobachtet allerdings auch Käufer, die diese Chance jetzt ausnutzen und entsprechend aggressiv verhandeln.