Zyklen kommen und gehen – auch im Immobilienmarkt. War es abzusehen, dass der Immobilienboom der letzten Dekade enden würde, zeigen sich Marktteilnehmer doch erstaunt über das „WIE“, das die Immobilienhausse zu ihrem jähen Ende führt. Drastische Zinserhöhungen der Notenbanken verteuern die Investitionskosten seit Jahresbeginn.
Zinserhöhungen werden im Kampf gegen die galoppierende Inflation notwendig. Sie drücken auf die Margen der Investoren. Noch vor wenigen Jahren hatte kaum ein Marktteilnehmer mit der Anhebung der Zinsen gerechnet. Investoren ziehen sich zurück, legen laufende Projekte auf Eis. Kaufpreise für Immobilienprojekte und Portfolios werden neu verhandelt. Ein Schrecken ohne Ende: Während die schwammige EZB-Politik die Märkte ins Chaos stürzt, kritisieren Beobachter die „halbherzigen geldpolitischen Maßnahmen“. Sie blicken über den Ozean nach USA. Der Zinsspread zur Fed weitet sich, der Euro gerät immer mehr unter Druck und importiert so zusätzlich die Inflation aus dem Ausland.
Chefvolkswirtin Traud: Die Zeitenwende begann mit Corona!
Für Chefvolkswirtin Dr. Gertrud Traud von der Helaba sind die derzeitigen Entwicklungen das negative Resultate einer zuweilen schwer nachvollziehbaren Corona-Politik. Die Zeitenwende habe nicht erst mit dem Ukraine-Krieg begonnen, wie von Bundeskanzler Scholz besungen, für Traud begann die Zeitenwende mit dem Einsetzen der Corona-Maßnahmen 2020. Traud referierte zum wiederholten Mal bei der BIIS Jahrestagung Immobilienfonds 2022 zum Makro-Ausblick. So mancher Topmanager im Plenum bekam bei dem Vortrag jedoch Ohrensausen. Nie zuvor hatte sich Traud derart kritisch geäußert.
EZB wird zum politischen Arm der Eurozone
Die EZB präsentiert sich in dem derzeit vorherrschenden Inflationsszenario weiterhin auf Irrwegen. Nun zeige sich, dass die Zentralbank ihren geldpolitischen Auftrag – die Sicherung der Währungsstabilität – vernachlässigt habe. „Es wird bei allem eingegriffen, was einem gerade nicht gefällt.“, sagt Dr. Traud und kritisiert die jüngsten Interventionskäufe, um die Credit-Spreads der Südstaaten trotz Zinserhöhung zu beruhigen. Eine „Grenzüberschreitung“, meint Traud, mit dem Ziel, die Wechselwirkungen des freien Marktes auszuschalten.
Corona-Politik und Inflation: Kein Weg zurück
Man habe im Frühjahr 2020 eine „relativ entspannte Welt“ unwiederbringlich verlassen; aus Trauds Sicht wurde damals ein umumkehrbarer Strukturwandel angestoßen, mit dessen Ergebnis die Volkswirtschaft jetzt zu kämpfen habe. Im Rahmen einer bisher niemals gesehenen Grenzüberschreitung hätten sich politische Akteure in den Wirtschaftskreislauf eingemischt. Die Politik sei, unter dem Deckmantel der COVID-19-Eindämmung, dazu übergegangen, „dass man Unternehmen an- und ausknipst, wie man es gerne hätte.“ Die Politik habe das Angebot künstlich eingedämmt und gleichzeitig mit Hilfspaketen die volkswirtschaftliche Nachfrage befeuert. Das logische Resultat seien Preissteigerungen; wenn die ganze Welt so handelt provoziere das Vorgehen den Abriss der Lieferketten. „Wenn die Lieferketten einmal zusammengebrochen sind, kann man sie nicht mehr so schnell zusammenfügen“, sagt Traud.
Schwer nachvollziehbar sind für Traud die immer häufiger auftretenden politischen Stimmungswechsel, die nicht selten mit geänderten Termini einhergingen: „Vor ein paar Jahren war Wrecking noch böse – jetzt ist LNG super.“, kritisiert die Volkswirtin. Mit dem Tankrabatt sei es plötzlich wieder „OK“, fossile Brennstoffe „herauszuhauen“ – „aber nur drei Monate“, setzt sie nach.
4xD: Megatrends und Risiken für Konjunktur und Kapitalmärkte
- Degolbalisierung
- Dekarbonisierung
- Demografie
- Digitalisierung
(Quelle Dr. Getrud R. Traud / BIIS / 20.06.2022)
Deglobalisierung: Das große Risiko für den Welthandel
Wann immer der Krieg zu Ende gehe, werde die Wirtschaft nicht in den alten Modus zurückkehren. Zu groß seien die politisch angestoßenen Verwerfungen auf den Weltmärkten. Traud sorgt sich insbesondere um die Deglobalisierung, habe die Globalisierung in den zurückliegenden Jahrzehnten doch eine gewaltige Wohlstansmehrung sowohl für die Industrieländer, als auch für die Schwellenländer gehabt, die jetzt wegfalle. Auch verschwindet die sogenannte „Friedensdividende“, von der die westlichen Nationen profitiert hätten, weil in der Vergangenheit durch die Abrüstung weniger Investitionen in Rüstungsgüter geflossen sein; diese konnten produktiv in anderen Teilen der Volkswirtschaft verwendet werden. Nun wolle wieder jeder Miltiärgüter kaufen. Dies werde die Preise für Rohstoffe in die Höhe treiben.
Politisch verordnete Dekarbonisierung bremst die Konjunktur
Die „politisch verordnete“ Dekarbonisierung koste zwangsläufig Geld, so Traud weiter, entweder im Rahmen von Investitionen als Reaktion auf neue bzw. weitere CO2-Reglementierungen oder durch steuerliche Abgaben. „Die Dekarbonisierung kostet deshalb Geld, weil sie staatlich verordnet ist.“
Weil Deutschland die Einwanderungspolitik über Jahre vernachlässigt habe, brechen bis 2050 rund zwanzig Prozent der Arbeitskräfte weg. Für spanische oder italienische Arbeitskräfte sei es nicht wirklich erstrebenswert, nach Deutschland zu kommen. Ein Problem, dass man sich mit Spanien, Italien, China und Frankreich teile. Lediglich die USA werde bei der Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren einen moderaten Zuwachs verzeichnen.
Ausgewählte Indikatoren, die Dr. Traud bei der Modellierung der Makroökonomischen Lage nutzt:
- Auftragseingänge (verarbeitendes Gewerbe)
- Bauproduktion
- Produktion verarbeitendes Gewerbe
- Produktion Automobilindustrie
- GfK Konsumklima-Index
- Ifo-Geschäftsklima nach Sektoren
- GSCPI
- ISM
Zum Zeitpunkt des Vortrags (20.07.2022) endete Traud mit einem leicht optimistischen Ausblick für Deutschland. Der ifo-Geschäftsklima-Index zeigte erste Anzeichen eines positiven Trends und auch der Global Suppy Chain Pressure Index schien sich zu entspannen. Mit den zunehmenden Diskussionen um Gas-Knappheit hat sich der ifo-Index bis zur Veröffentlichung des Beitrags jedoch wieder gedreht. Die Geschäftserwartungen der laufen in die nähe des lokalen Tiefs im Frühjahr 2020.
Aktuelle Informationen veröffentlicht Dr. Traud unter regelmäßig im Research-Bereich der Hessischen Landesbank (Helaba).
Zur BIIS Jahrestagung Immobilienfonds
Der Bundesverband der Immobilien-Investment-Sachverständigen lädt jährlich zum großen Kongress für Immobilienfonds ein. Die Tagung fand am 20.Juni 2022 im Steigenberger Airport Hotel in Frankfurt statt. Hochkarätige Referenten informieren über die Lage auf dem deutschen Investment-Immobilienmarkt. Während der Corona-Pandemie ist der Kongress ausgefallen. Hier finden Sie den Bericht aus dem Jahr 2020.
Ein Gedanke zu “Märkte im Chaos: Chefvolkswirtin sieht keine Rückkehr zu alter Normalität!”