Wohnungsangebote zurück: Hat der Wohnungsmarkt die Coronakrise schon überstanden?

Die Börse hat vom Corona-Tiefpunkt im März deutlich an Boden gutgemacht. Die Infektionszahlen und die Reproduktionsrate (R) sinken. Auch der Immobilienmarkt wirkt so, als wollte man sich in den vergangenen Wochen auf eine Art neue Normalität einstellen.  Das Analyseunternehmen F+B hat in den Kalenderwochen 15 und 16 eine Normalisierung der Mietwohnungsangebote festgestellt, die jedoch Interpretationsspielraum zulassen.


F+B stellt Rückkehr der Mietwohnungsinserate fest

Beginnend mit der 10.Kalenderwoche haben die Researcher die Zahl der Wohnungsinserate analysiert. Nach den Tiefständen in KW 13 und 15 vermelden die Analysten in der 16.Kalenderwoche, dass die Zahl der angebotenen Wohnungen zur Miete nun 88 Prozent des Vorkrisenlevels betrage, betont wird jedoch gleichzeitig auch die Schwankungsbreite der Inseratszahlen.

Zahlen aus der F+B Pressemeldung zur „Entwicklung der Anzahl der neu angebotenen Mietwohnungen“
(Durchschnitt TOP 7-Standorte)

KW 10 =100,0
KW 11 =  95,1
KW 12 =  72,6
KW 13 =  71,1
KW 14 = 85,5
KW 15 = 60,3
KW 16 = 88,0

Kaum Schwankung der Mieten

Konstant zeigen sich laut F+B dagegen die Mieten, bei denen nur sehr geringe Ausschläge zu beobachten waren: „Vermieter verzichten eher auf die sofortige Vermietung als unverzüglich einer kommenden negativen Wirtschaftsentwicklung vorauseilend, die Miethöhe zu reduzieren.“, kommentiert F+B Geschäftsführer Dr. Bernd Leutner der Pressemeldung vom 27.04.2020, die Sie hier einsehen können. 

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Interpretationsmöglichkeiten der F+B-Daten

Vor dem Hintergrund der undurchsichtigen Nachrichtenlage existieren nun verschiedene Interpretationsmöglichkeiten der Untersuchungsergebnisse:

  • Der Mietwohnungsmarkt, bzw. die Inseratszahlen haben nach der Vollbremsung zwischen KW 13 bis 15 eine Art Aufholeffekt durchgemacht. Erstens haben sich institutionelle Anbieter und Makler vermutlich auf die neue Situation eingestellt und mutmaßlich zunächst abgeklemmte Inserate wieder in Betrieb genommen.
  • Immobilienportale haben massive Marketingaktionen gefahren, um ein Austrocknen des Angebots zu vermeiden. So bietet Immobilienscout24 – übrigens zum großen Unmut der Maklerbranche als Stammkundenklientel – kostenlose Immobilieninserate für Privatvermietter an. Dadurch sind auch Mehrfachinserate für die selbe Immobilie im Bereich des Denkbaren.
  • Die von F+B angegebene Zahl legt unter Umständen keine Regeldurchlaufzeit für die Mietwohnungen zugrunde. Eventuell summieren sich nicht vermietete Wohnungsangebote in den vergangenen Wochen auf, weil keine Vermietung erreicht werden konnte. Zwar beschreibt F+B den Index als „neu angebotene Mietwohnungen“ –  häufig werden jedoch, insbesondere von institutionellen Anbietern, die über Portal-Kontingente verfügen, Wohnungsangebote im Rahmen einer neuen Anzeige „neu“ in den Markt gegeben. Hier wäre eine Erhebung der Regeldurchlaufzeit der Mietwohnung bis zur Vermietung und ein Vergleich mit dem Vorrkrisenlevel saisonbereinigt interessant.
  • Vermutungen, Immobilienanbieter würden insbesondere die provisions- bzw. margenträchtigen Immobilien aktuell noch bewerben, könnten sich in Aussagen von F+B bestätigen, die  Kaufpreise von neu angebotenen Eigentumswohnungen haben in KW15 und KW16 verglichen mit dem Vorkrisenlevel in KW10 sogar noch zugelegt – während Marktakteure der Immobilienbranche derzeit, verständlicherweise, sinkende Transaktionszahlen vermelden.
  • Getrieben von der Corona-Nachrichtenlage ist im Mindset von Privateigentümern aktuell eine Ausverkaufsmentalität zu beobachten: Wer seine Immobilie ohnehin verkaufen wollte, bemüht sich nun, die Transaktion „noch schnell“ abzuwickeln, bevor die Preise kollabieren (könnten).
  • Der Mietwohnungsmarkt bearbeitet aktuell Kündigungen (die Regel-Kündigungsfrist sind 3 Monate), Leerstände und Wohnungswechsel, die zum Jahreswechsel eingegangen sind oder sich unter Umständen durch den Lockdown einige Wochen verschoben haben.

Insbesondere der letzte Punkt lässt aufhorchen: Die Entwicklung des Angebots ab Mai wird die erste verlässliche Indikation liefern. Noch einmal spannend wird die Entwicklung, wenn die aktuellen Vorgänge in der Realwirtschaft den Immobilienmarkt erreichen, beispielsweise wenn Bewohner von Mietwohnungen aufgrund Verlust des Arbeitsplatzes oder Kurzarbeit zum Auszug gezwungen werden. Hier liefern die Auswirkungen des Mietenmoratoriums eine Vorschau. Investor Jakob Mähren erklärte kürzlich im Rahmen eines Interviews, rund 20 Prozent der Mieter von Wohnimmobilien stünden aufgrund von finanziellen Einschränkungen durch die Coronakrise mit der Mähren AG in Verhandlung.

Derzeit scheint lediglich sicher, dass die strukturellen Auswirkungen der Corona-Pandemie, also Arbeitsplatzverluste, eingeschränkter oder ausgesetzter Konsum oder auch eine Änderung des Leihverhaltens der Banken, noch nicht auf dem Wohnungsmarkt angekommen sein können. Das weiss auch F+B Geschäftsführer Dr. Bernd Leutner, der im Schlusssatz der Pressemeldung noch einmal darauf hinweist, dass der Immobilienmarkt träge sei.
Indikatoren zeigten eine zeitverzögerte Wirkung. Marktteilnehmer sollten sich daher nicht zu Schlussfolgerungen aufgrund der zahlreichen, häufig „aus dem Bauch“ getroffenen Hypothesen zum Immobilienmarkt hinreissen lassen. 

Richard Nitzsche: Makler und Autor von Mietercoach.de
Richard Nitzsche (M.Sc.) kommentiert für Sie wöchentlich aktuelle Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt. Folgen Sie diesem Blog und erhalten Sie aktuelle Beiträge direkt via E-mail in Ihr Postfach. Nitzsche ist  Immobilienmakler und seit 2014 Autor des Blogs mietercoach.de, sowie des gleichnamigen Ratgebers für Mieter auf Wohnungssuche.

 

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