Kommentar zur Stadtflucht: Neuer Megatrend zum Immobilienkauf auf dem Land?

Wird die Stadtflucht zum neuen Megatrend auf dem Immobilienmarkt? Wie werden Corona und die Digitalisierung die Suchkriterien von Haus- und Wohnungskäufern in den nächsten Jahren beeinflussen? Gewinnt das Landleben durch Corona & Co. dauerhaft an Attraktivität? Und was bedeutet eine potenzielle Verschiebung der Wohntrends für die Immobilienpreise in den Großstädten? Ein Kommentar zur neuen Immobilien-Mode: Dem Leben auf dem Land. 

Wird das Vorort- und Landleben modern, oder ist der Immobilienkauf in der Großstadt für Städter einfach zu teuer? Unterstellen wir ein Szenario der Verteuerung wäre das Ausweichen auf Vororte oder den ländlichen Raum beim Kaufen einer Immobilie die Notlösung, eine Substitution der Idealvariante eines Traumhauses in der Metropole: Wer über das nötige Kleingeld verfügt, würde dann doch lieber in einer der sieben deutschen Großstädte, Frankfurt, Hamburg, München, Berlin, Stuttgart, Köln oder Düsseldorf leben, statt draußen auf dem Land.

Neuer Megatrend – befeuert von Corona: Gewinnt das Leben auf dem Land gewinnt an Attraktivität?
Ist es möglich, dass sich Stadtbewohner, die planen eine Immobilie zu kaufen, ganz gezielt auf dem Land umsehen und die städtischen Lagen sogar verlassen wollen. Vor der Coronakrise war diese Frage leicht zu beantworten. Stadt ist „in“, Landleben ist „out“. Wie sehr sich die Welt in einem halben Jahr verändern kann! Sechs Monate später ist das Paradigma vom kutligen Stadtleben verglichen mit einem „unerotischem“ Leben auf dem Land nicht mehr allgemeingültig.Aber wird das Landleben tatsächlich zum Megatrend? Oder betreiben Immobilienökonomen und Marktteilnehmer nur Trockenübungen auf dem Papier, die verblassen werden, wenn die Pandemie erst ausgestanden ist?

Richard Nitzsche: Makler und Autor von Mietercoach.de
Autor: Richard Nitzsche (M.Sc.) ist Immobilienmakler in Frankfurt und Autor des Ratgebers „Der Mietercoach“

Im Lockdown: Wie Großstädte zu nichtssagenden Betonwüsten ohne Freizeitwert mutierten…
Im Lockdown offenbaren die Großstädte ihr zweites Gesicht. Sie werden zu engen Asphaltwüsten ohne hinreichenden Mehrwert für ihre Bewohner. Wenn der Weg ins Büro irrelevant wird, weil der Arbeitnehmer aus dem Homeoffice arbeiten muss; wenn Club und Kino geschlossen bleiben, wenn der Städter aus Infektionsangst mit flauem Bauchgefühl U-Bahn oder Straßenbahn fährt oder gar mit Unwohlsein im Treppenhaus auf Mitmieter oder andere Teileigentümer trifft, wofür lohnt es sich dann noch, in der Stadt zu leben? 

Erstmalig, zumindest in meiner Lebensspanne als früher Millenial, musste ich für mich das Konzept „ Leben in der Metropole“ kritisch auf dessen Zukunftsfähigkeit hinterfragen, weil das „Stadt cool – Land nicht“-Paradigma plötzlich nicht mehr zur ultimativen Lebenswirklichkeit gehörte und meine Denkschule zwischen März und Mai 2020 aus dem Gleichgewicht kippte. 

Unsere Großeltern und Urgroßeltern standen übrigens schon einmal vor der selben Frage, als sie die Lebensqualität in der Stadt mit deren Sicherheitsaspekt in Kriegszeiten abwägen mussten. Schließlich war das Risiko des Bombentodes in der Metropole ungleich höher als auf dem Land – es bleibt noch zu hoffen, dass wir zumindest derartige Überlegungen nicht ernsthaft wiederholen müssen. Für jeden, der dieses Gedankenspiel in die eigene Immobiliensuche schon heute einbeziehen möchte, existiert hier ein Karte, die die Radioaktive Zerstörung bei einer atomaren Bombardierung simuliert. Nach dem Lesen eines Artikels der Frankfurter Neuen Presse, der die Auswirkungen eines atomaren Angriffs auf meine Heimatstadt Frankfurt beschreibt, bin ich auf diesen verstörenden Simulator gestoßen. Doch bleiben wir optimistisch und gehen wir davon aus, dass Spekulationen um dieses schreckliche Katastrophenszenario die Immobilienpreise in naher Zukunft nicht beeinflussen werden.  

Warum funktioniert eigentlich eine Großstadt (nicht)?
Zu Zeiten des tiefsten Lockdowns machte sich mein Makler-Gehirn also notgedrungen erstmals ans Werk, das Konzept „Leben in der Großstadt“ in dessen elementare Komponenten zu zerlegen und diese mit der Lebenswirklichkeit im Vorort und auf dem Land zu vergleichen. Die Stadt funktioniert nicht autark, nicht aus eigener Kraft. Die Metropole ist ein Kosmos, der durch das komplexe  Zusammenspiel von einer Vielzahl von Prozessen zum Leben erwacht: Lieferketten, Nahverkehr, Kultur- und Freizeitschaffende bis hin zur Straßenreinigung und Abfallentsorgung. Legen exogene Faktoren einzelne Rädchen des Getriebes lahm, mutiert das Stadtleben zu einem unfunktionalen Chaos, das sogar gefährlich für seine Bewohner werden kann. Aber auch im regelmäßigen Betrieb der Metropole werden die Bewohner durch die Umwelt  eingeschränkt. Mit schlechter Luft und einem höheren Stresslelvel bedingt durch Lautstärke und Enge bezahlen sie einen hohen Preis für das große Angebot an Produkten, Leistungen und Aktivitäten der kulturellen Zerstreuung, das vor allem durch die Vielseitigkeit und Individualität der Bewohner geprägt wird. 

Explodierende Immobilienpreise: Wie der Großstädter sein persönliches Wohlergehen maximiert
Grundsätzlich strebt jeder Stadtbewohner im Alltag die Maximierung seines persönlichen Wohlergehens an – kein Unterschied zum Verhalten auf dem Land, jedoch ist die Zahl der Mitstreiter und Konkurrenten einfach höher. So entwickelt sich die sogenannte Ellenbogengesellschaft. Aus meiner Zeit in New York City erinnere ich mich noch das angewandte Sprichwort, wenn der New Yorker beim Betreten der Subway alle umstehenden Fahrgäste rabiat wegboxt und gleichzeitig gutgelaunt „Excuse me!“ In die Runde ruft. Aber auch Frankfurt scheint von diesen Verhältnissen nicht mehr weit entfernt. 

Immobilien-Hotspots: Sogar in der Krise klettern die Mieten
Im Immobilienmarkt führt das Maximierungsstreben des persönlichen Wohlergehens zur Bildung der sogenannten Immobilien-Hotspots. Gut erreichbare Flecken auf der Karte, die eine möglichst geringe Distanz zum Arbeitsplatz aufweisen. Bei gleichem Einkommen maximiert der Stadtbewohner so den Wert der Freizeit, Transferzeiten haben, unter anderem aus den oben angeführten Gründen, den geringsten Freizeitwert. Große Nachfrage drückt so auf vergleichsweise kleines Angebot und lässt die Preise in den Immobilien-Hotspots, bei Miete wie auch bei Kaufimmobilien, explodieren. 

Mittelstädte im Speckgürtel: Der Kompromiss für junge Familien
In der direkten Gegenüberstellung unter Vorkrisenparametern schneiden die Mittelstädte im Speckgürtel der Metropolen besonders gut ab. Vor der Krise glänzten Sie durch ein besonders gutes Preis-Leistungsverhältnis. Bessere Luft, mehr Platzangebot – dabei eine vergleichsweise gute Verkehrsanbindung, die die Pendelzeiten auf ein noch erträgliches Maß reduziert. Auch die sonstige Infrastruktur in den Mittelstädten ist durchaus annehmbar: Passable Internetverbindungen, eine Auswahl an Ärzten und Einkaufsmöglichkeiten vor Ort. Mit der Verteuerung der Immobilienpreise in den Großstädten verzeichneten die Mittelstädte schon vor Corona steigende eine Nachfrage, was zu allmählich anziehenden Immobilienpreisen führte, die jedoch trotzdem noch signifikante Aussparungen zu den Quadratmeterpreisen in den Innenstädten aufweisen. Für die Doppelhaushälfte, die in der Metropole 1,5 Millionen Euro kostet, muss der Kaufinteressent im Speckgürtel nur eine Knappe Million bezahlen. 

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Raus aufs Land: So dritteln Interessenten den Preis ihrer Kaufimmobilie
Lassen wir unseren Blick doch einmal heraus aus der Metropole Rhein-Main nach Norden schweifen und richten ihn in das von einem radioaktiven Fallout in der Metropole deutlich weniger bedrohte Münzenberg. Eine knappe Stunde Fahrzeit von Frankfurt entfernt bekommen Käufer in dem malerischen Städtchen, das durch seine Burgruine geprägt wird, eine vergleichbare Immobilie für 500.000 Euro.  Beim Beispiel Münzenberg gilt noch nicht einmal der Terminus „richtig weit Draußen“. Ich habe hier absichtlich eine Lage gewählt, die mit direkter Lage an der Autobahn A45 verkehrstechnisch noch vergleichbar gut angebunden ist. Im sächsischen Reichenbach (Vogtland) bekommen Käufer ein gut erhaltenes Stadthaus mit 8 Zimmern und 150 Quadratmetern Wohnfläche für rund 140.000 €. In Birkenfeld an der Nahe kostet das 7 Zimmer-EFH 160.000 €. 

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Immobilien-Preis-Leistung in kritischer Gegenüberstellung
Stellen Sie sich jetzt doch einmal die Frage: Leben Sie, verglichen mit der Immobilie in Münzenberg, in der Frankfurter Innenstadtlage drei Mal so gut und im Speckgürtel noch doppelt so gut? Wenn Sie als Kaufinteressent diese Fragestellung bejahen, wären beide Immobilien für gemessen an Ihren Präferenzen fair bewertet. Verneinen Sie die Frage, liegt entweder eine Überbewertung der Stadtlage oder eine Unterbewertung der ländlichen Lage vor – abhängig davon, wieviel Druck Sie etwaigen Inflationstendenzen zugestehen möchten.

Behalten Sie das gerade beschriebene Gedankenspiel im Hinterkopf, wenn Sie in die folgenden Absätze einsteigen.

Hauskauf: Die Kriterien für die Immobiliensuche
Ein Hauptkriterium bei der Immobiliensuche ist die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes. Bei arbeitenden Paaren bzw. Familien mit zwei arbeitenden Elternteilen wird häufig eine Überschneidung der Wegstrecken angestrebt, die den kreisförmigen Radius des potenziellen Einzugsgebietes noch einmal in einen Kegel ausdünnt. Die Zahl der potentiell zu erwerbenden Immobilienangebote wird durch dieses Kriterium maßgeblich (negativ) beeinflusst. 

Die unmittelbar anschließenden Suchkriterien sind (nach meiner Erfahrung als Makler) die Erreichbarkeit von Kita und Schulen, darauf folgend Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und Einkaufsmöglichkeiten, darauf folgend Kultur- und Freizeitangebot, usw. . Erst im zweiten Schritt blickt der Käufer auf die Substanz der Immobilie, beispielsweise auf Sanierungsstau, Modernisierungspotenziale und auf den Schnitt der Immobilie. 

Homeoffice & Co: Wie verändert sich das Hauptkriterium LAGE durch aktuelle Vorgänge beim Immobilienkauf
Überlegen wir uns einmal, wie sich das von mir wahrgenommene Suchverhalten des durchschnittlichen Immobilienkäufers ändern würde, wenn Sie den wichtigsten Punkt, nämlich die Lage des zu kaufenden Hauses bzw. der zu erwerbenden Wohnung, eliminieren oder im Ranking deutlich nach unten durchreichen. Stichwort: Homeoffice. 

Schon während der Krise zeigen sich die Auswirkungen des flächendeckenden Homeoffices im Suchverhalten von Mietinteressenten. Erkennbar war hier das Bestreben, größere Objekte anzumieten – der Raum mehr fürs Büro wurde nachgefragt. Jedoch bleiben auch derzeit die zentrumsnahen Lagen noch stark gesucht. Etabliert sich das Homeoffice als dauerhafte Arbeitswelt, wird der Trip ins Büro nur noch ein bis zwei Mal pro Woche erforderlich, wäre der Pendler vermutlich gewillt, deutlich weitere Anfahrtsstrecken in Kauf zu nehmen. Ab welchem Moment wird sich der Kaufinteressent beim Preis- und Angebotsvergleich nun die Frage stellen: „Soll ich aufs Land ziehen?“. Wann ändert sich das Kriterium „Lage“ hin zum Leben auf dem Land? Und welche weiteren Kriterien müssten für den Käufer erfüllt sein, damit er sich für die Immobilie im Ländlichen entscheidet? 

Neuer Showstopper beim Kauf: Schlechte Internetverbindung
Galt vormals die Anbindung für Käufer, die Äußere Lagen in die Immobiliensuche einbezogen, noch als wichtiges Kriterium, wird dieses Immobilien-Suchparameter vermutlich von der Verfügbarkeit einer schnellen Internetverbindung ersetzt.
Die Verbindung ist für zahlreiche Arbeitnehmer im Homeoffice unbedingt notwendig. Sie ist ihre „Anbindung“ an den Arbeitsalltag und wird zum entscheidenden Kriterium der aus der Stadt „geflüchteten“ Käufer. Der ländliche Raum könnte in Post-Corona-Zeiten mit zunehmender Stadtflucht tatsächlich eine Renaissance erleben. Dabei würden insbesondere die Kommunen von höherer Nachfrage profitieren, die sich schon jetzt für das Internet-Zeitalter „fit machen“ (können) – und diese neue Ära fängt wohl gerade erst an.

Größere Wegstrecken zum Arbeitsplatz werden akzeptabel
Die Wegstrecken, die Pendler gewillt sind zurückzulegen, werden umso größer, je unattraktiver sich das Leben in der Metropole gestaltet und je komfortabler das Landleben anmutet: Derzeit fällt auf, dass die Corona-Fallzahlen (verständlicherweise) in der Großstadt und in den Ballungszentrum am Höchsten sind. Corona ist jedoch nur eines von zahlreichen Problemen, die sich in den Großstädten stärker auswirken, als im ländlichen Raum. An den künftigen Herausforderungen und dem daraus resultierend unter Umständen geringeren Angebot für seine Bewohner, wird sich die Attraktivität des Stadtlebens definieren. 

Neuer Hype? Wie „cool“ ist das Landleben, wie „uncool“ wird die Großstadt?
Im Umkehrschluss wird sich die Attraktivität des Landlebens an der Bereitschaft der Bevölkerung definieren, die notwendigen Kompromisse einzugehen. Hier sollte dem dann aktuellen Mainstream eine wesentliche Bedeutung zukommen. Je „cooler“ sich das Leben auf dem Land in den Augen der breiten Masse gestaltet, umso bedeutungsloser erscheinen die Nachteile. In welcher Ausprägung sich ein neuer Mainstream etablieren könnte, zeigt ein aktueller Blogbeitrag. Den Link habe ich von einer Bekannten erhalten, die aktuell selbst mitten im Frankfurter Immobilien-Hotspot zur Miete wohnt. Aufgrund ihres Alters und ihrer Lebenssituation wird sie sich aber früher oder später für ein langfristiges Zuhause entscheiden und ist so Empfänger und potenzieller Multiplikator des neuen Landleben-Trends: 

Die Bloggerin berichtet über ihr malerisches, günstiges Eigenheim auf dem Land. Mit den geringen verfügbaren erschwinglich und selbständig renoviert in kleinen Schritten, genießt die Familie den weitläufigen Blick auf einen See, statt auf eine Hauswand.  

Immobilienmarkt: Wie würde Angebot, Nachfrage und die Immobilienpreise auf einen neuen Megatrend „Landleben“ reagieren?
Unterstellen wir das beschriebene Szenario und tatsächlich eine Verschiebung der Nachfrage, so werden Immobilienmarkt und Immobilienpreise reagieren. Die Trendwende wird sich weniger plötzlich, eher als schleichender Prozess zeigen. Zunächst werden Projektentwickler stärkere Nachfrage nach Neubauten und Makler höhere Nachfrage nach gebrauchten Immobilien in den ländlichen Regionen bemerken – vermutlich im kreisförmigem Radius von 100 Kilometern rund um die Ballungszentren. Ein großer Vorteil: Außerhalb der Metropolen verfügt Deutschland über viel Platz. Die Nachfrage kann sich durch Homeoffice und Digitalisierung nun besser verteilen und entzerren. Insofern werden keine explosionsartigen Preisanstiege folgen.

Stadtflucht: Kein plötzlicher Preisverfall der Immobilienpreise in der Stadt zu erwarten
Auch die Innenstädte erwartet kein plötzlicher Preisverfall aufgrund sich geänderter Präferenzen von Immobilienkäufern. Aktuell übersteigt die Nachfrage das Angebot um ein Vielfaches, sodass sich zunächst erst die die übergroße Nachfrage entzerren sollte. Der Preisanstieg könnte sich zunächst moderat abschwächen, später stagnieren bei höheren Durchlaufzeiten. Realistisch betrachtet wird das Stadtleben jedoch nicht zum Ladenhüter, sondern könnte in dem beschriebenen Szenario lediglich den Trendcharakter verlieren, den das Leben in der Metropole im vergangenen Jahrzehnt belegen durfte. Auf politischer Ebene würde das Thema Wohnungsknappheit dann eventuell an Strahlkraft verlieren, denn Mieten außerhalb zu geringen Mietpreisen würde in der gesellschaftliche Akzeptanz ebenfalls zulegen.